WO BLEIBT EIGENTLICH DER PRINZ…?
Nie war es leichter einen passenden Partner zu finden als heute. Aber wie kommt es, dass unsere Beziehungen trotzdem so häufig floppen? Gibt es etwa keine »wahre Liebe« mehr? Die Autorin hat da so eine leise Vermutung…
Neulich vor Weihnachten: Mädelsabend! Nach einem köstlichen Ossobuco und einigen Gläsern bewusstseinsverändernder Getränke ist die Stimmung gelöst, die Unterhaltung lebhaft. Birgit, leitende Angestellte bei einem großen Versicherungskonzern, kann sich seit einer geschlagenen halben Stunde nicht darüber beruhigen, dass ihr „passiv-aggressiver Heini“ offenbar außerstande ist, einen klitzekleinen Skiurlaub zu verschieben, um die gemeinsamen Kinder zu hüten, damit Birgit am einem wichtigen Firmenpowwow in der Schweiz teilnehmen kann. Die Runde bekundet mehrheitlich Unverständnis für die Haltung des »Heinis« und Solidarität mit Birgit. Während in der Folge geheime Zugangscodes zur Psyche passiv-aggressiver Männer diskutiert werden, meldet sich Birgits Handy. Mit einem Mal wird es mucksmäuschenstill im Raum. Alle lauschen gebannt den himmlischen Chören des Klingeltons. In sieben Augenpaaren glimmt ein seliges Leuchten auf, gefolgt von einem vielstimmig verzückten „Aawwwwwwwww“…
Wer jetzt ein bekanntes Weihnachtslied vermutet, liegt total falsch. Birgits Smartphone dudelte die Filmmusik des Märchenklassikers »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«.
Das romantische Liebesideal
Die meisten Menschen des westlichen Kulturkreises träumen bis heute ungebrochen von der einen großen, bedeutsamen Liebesbeziehung, wie sie uns in Märchen und Mythen, Romanen und Filmen, Liedern und Gedichten seit Jahrhunderten überliefert wird. Nach einer aktuellen Studie unter 25.000 Internet-Nutzern sollen 87% der in Partnerschaft lebenden Deutschen überzeugt sein, mit dem jetzigen Partner ein Leben lang glücklich sein zu können. „Die Ergebnisse zeigen, dass der Wunsch nach einer lebenslangen Partnerschaft nach wie vor das romantische Liebesideal unserer Zeit ist“, sagt Diplom-Psychologin und Studienleiterin Lisa Fischbach. Im Widerspruch dazu stehen allerdings die unverändert hohen Scheidungsraten von zuletzt 45,45% im Jahr 2014, nach einem Höchststand von 51,92% im Jahr 2005. Wie kommt es also, dass Wunsch und Wirklichkeit so weit entfernt voneinander zu sein scheinen wie Aschenputtels Prinz von Birgits »Heini«?
Beziehungen im Wandel
Ein Grund könnte die Erfindung der sogenannten »Liebesheirat« sein, die in der uns bekannten Form tatsächlich erst seit etwas mehr als 200 Jahren Usus ist. Bis dato war die Ehe ein mehr oder weniger formales Bündnis, das den Charakter eines Vertragswerkes trug und in erster Linie ökonomischen Interessen diente. Die Liebe, so sie sich dazu gesellte, galt zwar nicht per se als nachteilig, sicher war sie aber nicht Voraussetzung dafür, eine »gute Partie« zu machen. Man darf wohl getrost davon ausgehen, dass diese Paare nicht glücklicher waren als wir. Ihre Verbindungen waren dennoch beständiger, weil sie nach festen Regeln funktionierten, die zu brechen vor allem für Frauen ein so hohes ökonomisches und soziales Risiko darstellte, dass es nur selten eingegangen wurde.
Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Die Gleichstellung der Frau in vielen Bereichen der Gesellschaft, sowie die Legalisierung der Geburtenkontrolle haben dazu geführt, dass es im Allgemeinen keinen ökonomischen, sozialen oder moralischen Zwang mehr gibt, eine Ehe einzugehen – geschweige denn, in einer unglücklichen Beziehung auszuharren. An dessen Stelle ist der Anspruch an ein hohes Maß emotionaler Intensität getreten, die in der Beziehung dauerhaft aufrechterhalten werden soll. Moderne Liebende erwarten eben nicht mehr nur sexuelle Treue voneinander, sondern auch noch emotionale Bestätigung, geistigen Austausch auf Augenhöhe, Unterstützung, Aufmerksamkeit, Stabilität, Fürsorge, Verständnis und Nestwärme. Nebenbei wollen beide auch noch gleichberechtigt ihre Karrieren verfolgen, Kinder pädagogisch wertvoll aufziehen, anspruchsvolle Hobbies pflegen, Vermögenswerte schaffen und einem möglichst schwerelosen Lebensabend entgegen blicken. Das alles soll allein die Liebe stemmen und geht dabei nicht selten in die Knie.
Prinz vs. »Heini«
Nehmen wir Birgit und ihren skifahrenden »Heini« : Wenn der »Heini« ein waschechter Prinz wäre, würde er sie bis zur Selbstaufgabe lieben, ergo auf seinen Skiurlaub verzichten, sich seinen Pflichten als Familienvater widmen und sie unentwegt dabei unterstützen, international Karriere zu machen. Weil er aber die Kinder gerade erst während der Grippewelle betreut hat, eine happige Stornogebühr für die Umbuchung seines Urlaubs anfallen würde und er außerdem vor seinen Kumpels nicht schon wieder als Partybremse dastehen will, ist er eben ein »Heini« und kein Prinz, und der Haussegen hängt schief.
Mr. und Mrs. Perfect
Die Instabilität heutiger Beziehungen resultiert also nicht, wie oft vermutet, aus Bindungsunfähigkeit oder -unlust, sondern aus den komplexen Ansprüchen, die wir an unsere Beziehungen stellen. Wir suchen nicht mehr nach Mr. oder Mrs. »Right«, sondern nach den »Perfects« und haben dabei dank Tinder & Co. inzwischen eine schier grenzenlose Auswahl. Der nächste potentielle Prinz, die nächste kochende K2-Bezwingern sind immer nur noch einen Klick entfernt. Das nennt sich »Serielle Monogamie« und bedeutet, dass wir im Großen und Ganzen weiterhin so leben wie unsere Großeltern, nur eben nicht mit einem Lebenspartner, sondern mit mehreren Lebensabschnittspartnern hintereinander. Dagegen wäre im Prinzip auch nichts einzuwenden, wenn es nicht zur Folge hätte, dass so viele Menschen den Glauben an sich und ihren romantischen Liebeswunsch verlieren und schlussendlich frustriert allein bleiben.
Romantik ade?
Ist Romantik also die Wurzel allen Übels in unseren Beziehungen? Wohl kaum. Besonders zu Beginn einer Beziehung sorgt der verklärte Blick auf den Partner dafür, dass wir uns zur Bindung überhaupt bereit erklären, dass wir den Mut finden, bekannte Sicherheiten aufzugeben, um gemeinsam Pläne für eine bessere Zukunft zu schmieden. Dabei inspirieren uns die großen Gefühle, sie beflügeln uns und lassen uns nicht selten sogar über uns selbst hinaus wachsen. Unglaublich, welchen hohen Einsatz beispielsweise Romeo und Julia riskiert haben, um den Traum von einer gemeinsame Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen. Man sollte allerdings nicht auf die Idee kommen, deren kurze Romanze zum Maßstab für gelingende Beziehung zu nehmen (davon kann bei den beiden ja nun wirklich keine Rede sein!), denn wenn der Schritt zur festen Verbindung erst einmal geschafft ist, folgt der romantischen Verliebtheit mit etwas Glück – die Liebe.
(Ver-) Liebe (-theit)
Stellen Sie sich einmal vor, Sie treffen einen besonderen Menschen. Sie gehen aufeinander zu und umarmen sich. Sie schließen die Augen und drücken den anderen fest an sich, nehmen ihn ganz in sich auf, spüren seine Wärme und riechen seinen Duft. Für einen Augenblick ist es so, als würde der andere Körper mit dem ihren zu einer Einheit verschmelzen, wie ein Tropfen im Ozean. – Doch plötzlich spüren Sie ein leichtes Unbehagen. Sie lösen sich, treten einen Schritt zurück und schauen Ihrem Gegenüber zum ersten Mal in die Augen. Sie erkennen, dass da noch etwas Anderes ist, etwas Unbekanntes, Fremdartiges, vielleicht sogar Beängstigendes, auf jeden Fall nicht das, was sie erwartet, vielleicht sehnlichst erhofft haben, als Sie den anderen Menschen blind in Ihre Arme schlossen.
Das ist der Moment, in dem sich die Liebe aus der verschmolzenen Verliebtheit löst.
Sie zeigt sich als ein Gefühl der Zustimmung zur Andersartigkeit ihres Partners, zur Unvorhersehbarkeit ihrer Beziehung, zur Bereitschaft, im Angesicht des geliebten Menschen auf eigenen Beinen zu stehen und für sich selbst und die eigenen Gefühle zu sorgen.
Bestes Beispiel: Birgit! Die Sache zwischen ihr und dem »Heini« ist so ausgegangen, dass sein Skiurlaub wie geplant stattfinden konnte, nachdem Birgit ihr Problem selbstständig gelöst hat. Sie hat die Kinder und ihre Mutter – die dringend einen Tapetenwechsel brauchen konnte – kurzerhand eingepackt und in die Schweiz zu ihrem Firmenevent mitgenommen. Alle hatten ihren Spaß, während Birgit sich entspannt ihrer Karriere widmen konnte und ganz nebenbei noch etwas Gutes für ihre Beziehung zu Denis, wie der »Heini« inzwischen wieder heißt, getan hat.
Von Herzen,
Christina
Der Artikel ist ursprünglich in gekürzter Form in der Ausgabe 01/16 des Magazins AUSZEIT erschienen.
Bildquelle: Szenenbild aus dem Film »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« | © DEFA / Jaromir Komárek