WARUM PASSIERT MIR DAS IMMER WIEDER?

Stimmt es wirklich, dass Frauen »nette« Männer langweilig finden? Was ist falsch daran, einen anderen Menschen glücklich machen zu wollen? Warum wird Fürsorge in Beziehungen so häufig mit Aggression beantwortet? Spike Jonzes Film HER liefert auf schwierige Fragen eine einfache Antwort.

 

Gestern habe ich den amerikanischen Spielfilm HER gesehen, der mich in mancher Hinsicht schwer beeindruckt hat. Zum einen, weil der Schauspieler Joaquin Phoenix darin einmal mehr zeigen konnte, dass er ein Meister der leisen Töne ist – eine Kunst, die im amerikanischen Kino der letzten Jahre etwas kurz gekommen ist, würde ich sagen. Zum anderen, weil es dem Regisseur Spike Jonze gelungen ist, eine der Schlüsselfragen zwischenmenschlicher Beziehungen auf den Punkt zu bringen. Die Frage lautet:

 

 Warum passiert mir das immer wieder?

 

Worum geht es in »HER«?

Die Handlung des Films spielt im Los Angeles einer nahen Zukunft. Theodore Twombly (Phoenix) lebt nach der Trennung von seiner Frau allein in einem riesigen Apartment, das nach ihrem Auszug nur spärlich möbliert zurück geblieben ist. Tagsüber arbeitet er in einer Agentur, wo er zärtlich-romantische Liebesbriefe für fremde Auftraggeber verfasst. Abends sitzt er allein zu Haus und spielt Videogames. Freunde und Kollegen sorgen sich um ihn, aber er lässt niemanden an sich heran. Theodore leidet lieber still für sich.

 

Das ändert sich schlagartig, als »Samantha« in sein Leben tritt. »Samantha« ist ein neuartiges Computerprogramm, das dazu dienen soll, Theodores Alltag besser zu organisieren. Tatsächlich kann das Programm aber weit mehr als das. Ausgestattet mit einer lernfähigen künstlichen Intelligenz, die dem menschlichen Bewusstsein ähnelt und der betörenden Stimme von Scarlett Johansson, organisiert »Samantha« schon bald nicht nur Theodores Post, sondern auch seinen Gefühlshaushalt. Dabei zeigt sich, dass keine Frau aus Fleisch und Blut Theodore auch nur annähernd so gut verstehen, liebevoller auf ihn eingehen und besser trösten, motivieren und inspirieren kann als »Samantha«. Die beiden fühlen sich schon bald unwiderstehlich zueinander hingezogen und landen schließlich… irgendwie… im Bett.

 

Was für andere der Beginn einer glücklichen Liebesbeziehung sein könnte, wird für Theodore und »Samantha« zum Auftakt eines schmerzlichen Erkenntnisprozesses. Denn, während sich zu Beginn noch alles um Theodore und seine Befindlichkeiten zu drehen schien, rücken schon bald »Samanthas« Probleme in den Fokus der Beziehung. Sie leidet unter ihrer Körperlosigkeit, fürchtet, dass er sie »so« nicht wirklich lieben könne, reagiert eifersüchtig, als er sich mit seiner Ex-Frau trifft. Theodore unternimmt indes alles Menschenmögliche, um »Samanthas« Bedenken zu zerstreuen. Er lässt sie durch die Kameralinse seines Handys rund um die Uhr an seinem Leben teilhaben. Er stellt sie während eines Picknickausfluges Freunden vor und fährt mit ihr allein in die Berge. Er lässt sich von ihr sogar zur Begegnung mit einer fremden Frau überreden, die stellvertretend für »Samantha« mit ihm schlafen soll – eine desaströse Erfahrung für alle Beteiligten, die nicht zuletzt die Grenzen des MENSCHEN-Möglichen aufzeigt…

 

Theodores Dilemma

Theodore scheint ein Mann zu sein, der vor allem ein Ziel verfolgt: Es allen und jedem recht zu machen. Konflikte scheut er wie der Teufel das Weihwasser. Sobald ein Gegenüber auch nur andeutungsweise die Stimme hebt, entschuldigt er sich wortreich und gibt die eigene Position umgehend auf. Seine Ex-Frau sagt, dass Theodore nicht mit echten Gefühlen umgehen könne und deshalb immer ausweichen würde. Er selbst sagt, dass er nicht wisse, was er fühle, dass er immer verwirrt sei und andere Menschen verletzen würde, ohne zu wissen wie oder warum. Das ganze Ausmaß von Theodores Dilemma konzentriert sich in einer Szene, in der er sich mit einer jungen Frau in einer Bar trifft. Zu Beginn des Dates vergleicht sie ihn noch mit einem knuddeligen Welpen, nur um ihm später, als er ihre romantischen Erwartungen enttäuscht, bittere Vorwürfe zu machen.

 

Von der Schwierigkeit, die eigenen Gefühle auszudrücken

Menschen wie Theodore treffe ich öfter. Sie wenden sich an mich, weil sie nicht verstehen können, warum ihnen in Beziehungen immer wieder Wut und Zurückweisung entgegen schlagen, wo sie es doch „nur gut meinen“. Dabei fällt auf, dass die meisten von ihnen genau darüber Bescheid wissen, was ihre PartnerInnen fühlen und brauchen, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse aber kaum ausdrücken können. Der Film zeigt dieses Phänomen eindrücklich in etlichen Szenen, in denen Theodore auf die Frage nach seinem Befinden erklärt, dass alles bestens sei, seine Stimme und seine Körperhaltung aber genau das Gegenteil ausdrücken. Auf »therapeutisch« nennt man das eine Double-Bind-Botschaft.

 

Was bedeutet Double-Bind?

Double-Bind bedeutet im übertragenen Sinn soviel wie »Zwickmühle«. Darunter versteht man, dass eine Person gleichzeitig widersprüchliche Botschaften aussendet, wie Theodore, der sagt, dass alles bestens sei und dabei unglücklich aussieht. Der Empfänger der Botschaft reagiert darauf verständlicherweise verwirrt. Er fühlt sich in einer Zwickmühle, denn verbale und non-verbale Kommunikation stimmen nicht überein. Welcher Botschaft soll er glauben?

 

Wenn Kinder über längere Zeit seitens ihrer Eltern oder anderer Bezugspersonen solchen Kommunikationsmustern ausgesetzt sind, kann das ihrer Seele schweren Schaden zufügen. Sie befinden sich dadurch in einem permanenten Konflikt, weil sie von ihren Eltern abhängig sind und sich immer »richtig« verhalten wollen, um deren Zuwendung nicht zu verlieren. Der Film gibt uns einen Hinweis, dass Theodore in seiner Kindheit entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Nach dem Verhältnis zu seiner Mutter befragt, antwortet er, dass das eigentlich ganz gut sei, lenkt dann aber ein: „Wenn ich ihr etwas erzähle, etwas über mein Leben, dreht sich ihre Reaktion immer nur um sie selbst.“

 

Wenn Kinder nicht erwachsen werden

Wenn sich in einer Kindheit die allgemeine Aufmerksamkeit dauerhaft mehr um die Belange der Erwachsenen dreht und weniger um die Bedürfnisse des Kindes, lernt der heranwachsende Mensch nicht, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Wenn Theodore im Film auf die wiederholte Nachfrage, was er denn gerade empfände mit „Ich weiß es nicht“ antwortet, ist das also die reine Wahrheit. Er weiß es nicht, weil er es schlicht und ergreifend nicht gelernt hat, die eigenen Gefühle bewusst zu erfahren, sie zu benennen und für sie einzustehen. Obwohl inzwischen ein erwachsener Mann, reagiert er in Konfliktsituationen unbewusst noch immer wie der kleine Theo: Er gibt sein eigenes Bedürfnis zugunsten des anderen auf, um sich dessen Wohlwollen zu sichern. Unglücklicherweise reagieren die Frauen in Theodores erwachsenem Leben auf diesen »Trick« aber nicht wie weiland seine Mutter. Sie sind vielmehr wütend und verletzt, weil sie vermuten, dass er sich ihnen nicht öffnen und anvertrauen will. Wie ein Bumerang kehrt dieses Muster zuverlässig immer wieder in sein Liebesleben zurück, egal in welche Richtung er ihn vorher abgefeuert hat. Genauso vorhersehbar ist seine Reaktion darauf. Er zieht sich in seinen Schneckenhaus zurück und lenkt sich mit Videospielen ab. Lieber geht er in die leidvolle Isolation, als sich in der Auseinandersetzung mit anderen seinen namenlosen Gefühlen auszuliefern.

 

Den Gefühlen einen Namen geben

Die »Theodores« dieser Welt haben es nicht leicht. Das Leben gleicht für sie einem »Minenfeld«, auf dem jeder Schritt unversehens eine Explosion auslösen könnte. Entsprechend zurückhaltend und vorsichtig bewegen sie sich darin. Wer einen »Theodore« oder eine »Theodora« zum Tanz auffordert, sollte sich also darauf gefasst machen, dass das eine ziemlich holperige Angelegenheit werden könnte. Leichtigkeit und Hingabe zählen jedenfalls nicht gerade zu den Kernkompetenzen, die diese Beziehungen auszeichnen.

 

Wer dennoch ausreichend Mut und Liebe aufbringt, sich der Herausforderung zu stellen, dem sei an dieser Stelle mitgegeben, dass es erfahrungsgemäß keinen Sinn macht, Gefühlsäußerungen einzufordern, die der Partner oder die Partnerin nicht freiwillig einbringen können oder wollen. Bedeutend vielversprechender ist es da, den anderen auch einmal so sein lassen zu können wie er gerade ist, ohne permanent in ihn »hineinsehen« zu wollen. Geh stattdessen selbst mit »gutem Beispiel« voran! Beschäftige dich mit deinen eigenen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen und lass den Partner auf Nachfrage daran teilhaben, ohne etwas dafür zurück zu fordern. Auf diese Weise kann sich das vermeintliche »Minenfeld« langsam in einen vertrauenswürdigen Boden wandeln, auf dem sich namenlose Gefühle frei bewegen dürfen, ohne eine Explosion auszulösen. Wo sie auf Achtsamkeit, Liebe und Akzeptanz treffen und  schließlich sogar ihren Namen finden können.

 

Eine »theodorischer« Freund hat mir übrigens einmal verraten, wie er es geschafft hat, die Furcht vor seinen namenlosen Gefühlen zu überwinden: „Wenn mich jemand fragt, wie’s mir geht“ sagte er, „dann checke ich schnell meine Körperempfindungen. Heiß, kalt, müde, hungrig… Das reicht meistens schon als erste Antwort. So gewinne ich etwas Zeit,  um mir darüber klar zu werden, was ich FÜHLE.“

 

Das Herz ist keine Box, die irgendwann voll ist

Hoffentlich verrate ich jetzt nicht zu viel, wenn ich preisgebe, dass die Geschichte von Theodore und »Samantha« kein Happy End haben wird. (Das hätte mich, ehrlich gesagt, auch ein klitzekleines Bisschen gegruselt ;))  Immerhin hat »Samantha« all dem Kummer, den die beiden einander und sich selbst inzwischen zugefügt haben, aber eine wesentliche Erkenntnis abgewinnen können:

 

„ Das Herz ist keine Box,
die irgendwann voll ist.
Es wird größer,
je mehr man liebt.“

 

Leider verhallt dieser, vielleicht DER entscheidende Satz des Films in Theodores Universum ungehört.

 

Von Herzen,

Christina

 

 

 

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Bildquelle: Filmplakat zu HER | © Warner Brothers Germany