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Vaginismus - Wenn Dein Körper "Nein" sagt

Vaginismus -
wenn dein Körper «Nein» sagt


Ursachen, Symptome und moderne Behandlungsmöglichkeiten

Eines der häufigsten Anliegen, mit dem Frauen zu mir in meine Praxis für Paar- und Sexualtherapie kommen, ist der Wunsch, endlich penetrierenden Sex erleben zu können. Was für die meisten von uns eine Selbstverständlichkeit ist, erscheint diesen Menschen oft wie ein unüberwindliches Hindernis, dem mit keinem Medikament und keinem Voodoo beizukommen ist. Die Rede ist vom sogenannten Vaginismus.

Unter Vaginismus verstehen wir eine unwillkürliche Verkrampfung der weiblichen Beckenbodenmuskulatur, durch die das Einführen von Gegenständen – wie Tampons, medizinischen Instrumenten oder einem Penis – schmerzhaft bis unmöglich wird. Betroffene Frauen empfinden häufig Angst, Scham oder Frustration, weil ihr Körper scheinbar gegen ihren Willen reagiert und verschweigen diese «peinliche Schwäche» lieber oder weichen der Sexualität ganz aus.

 

Tatsächlich liegt Schätzungen zufolge der Anteil der von Vaginismus betroffenen Frauen in der Allgemeinbevölkerung zwischen 0,4 % und 6,6%. In klinischen Umgebungen, insbesondere in Sexualberatungsstellen, wird aber ein deutlich höherer Anteil festgestellt, der zwischen 5 % und 17 % liegt*.  Die Zahlen variieren stark, je nachdem in welchem Land und in welchem Kulturkreis die Erhebungen stattgefunden haben.

 

Vaginismus ist also keine Seltenheit und - Trommelwirbel - er ist gut behandelbar.

 

Symptome: Wie äußert sich Vaginismus?

 
Schauen wir uns zunächst die Symptome des Vaginismus genauer an:

 

Unwillkürliche Verkrampfung der Scheidenmuskulatur bei dem Versuch einer vaginalen Penetration


Brennende oder stechende Schmerzen während oder vor dem Eindringen


Angst oder Panikreaktionen in sexuellen oder gynäkologischen Situationen


Vermeidung von Intimität aus Angst vor Schmerzen


Unmöglichkeit der vaginalen Penetration, selbst mit kleineren Gegenständen wie Tampons


 

Dies Symptome können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und sich sowohl auf körperlicher als auch auf emotionaler Ebene belastend auswirken.

 

Primärer oder sekundärer Vaginismus – ein wichtiger Unterschied

 

Es gibt außerdem zwei unterschiedliche Formen:

 

Primärer Vaginismus: Frauen, die noch nie eine schmerzfreie Penetration erleben konnten, haben oft einen primären Vaginismus. In vielen Fällen ist dieser mit frühen Ängsten, fehlender Sexualaufklärung oder traumatischen Erlebnissen verbunden.


Sekundärer Vaginismus: Diese Form entwickelt sich erst später im Leben, oft nach negativen Erfahrungen wie einer schmerzhaften Geburt, einer Infektion, Operation oder nach sexuellen Traumata.


 

Die Unterscheidung ist wichtig, da sie bei der Wahl der Behandlungsmethode eine Rolle spielt.

 

Welche Frauen sind besonders betroffen?

 

Vaginismus kann jede Frau betreffen, unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialem Status. Bestimmte Gruppen treten jedoch häufiger hervor:

 

Frauen mit strengen moralischen/religiösen Prägungen, in denen Sexualität mit Scham behaftet ist


Frauen, die negative und/oder schmerzhafte sexuelle Erfahrungen gemacht haben


Frauen mit einer ängstlichen Grundpersönlichkeit, die zu übermäßiger Anspannung neigen


Frauen mit einem hohen Leistungs- und Perfektionsanspruch, die zu übermäßiger Kontrolle neigen


Frauen mit Beckenbodenfehlfunktionen oder nach medizinischen Eingriffen im Intimbereich


 

Die Ursachen sind oft vielschichtig, weshalb eine individuell angepasste Behandlung so wichtig ist.

 

Vaginismus früher und heute – ein Paradigmenwechsel

 

In der Vergangenheit wurde Vaginismus oft bagatellisiert oder rein psychologisch betrachtet. Viele Frauen wurden mit Sätzen wie «Entspann dich doch mal» oder «Das ist reine Kopfsache» abgespeist. Medizinisch wurde das Problem lange nicht ernst genommen und den betroffenen Frauen «Hysterie», Frigidität oder mangelnde sexuelle Bereitschaft unterstellt.

 

Heute wissen wir, dass Vaginismus eine Kombination aus psychischen, neurologischen und muskulären Faktoren ist. Moderne Ansätze betrachten Körper und Psyche gleichermaßen und bieten eine individuell auf dich zugeschnittene Therapie.

 

Körperliche Ursachen von Vaginismus

 

Auf der körperlichen Ebenen kann Vaginismus durch verschiedene Faktoren verstärkt oder ausgelöst werden, darunter:

 

Verspannte oder überaktive Beckenbodenmuskulatur


Hormonelle Veränderungen, z. B. nach der Geburt oder in den Wechseljahren


Schmerzhafte gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose oder Vulvodynie


Neurologische Störungen, die die Muskelkontrolle beeinträchtigen


Vergangene Operationen oder Geburtsverletzungen


 

Eine gynäkologische Abklärung ist daher ein wichtiger erster Schritt, um sich dem «Ungeheuer» Vaginismus zu nähern - natürlich nur, soweit das der Grad der Verspannung zulässt. Sprich im Vorfeld am besten mit deiner Gynäkolog*in und leg deine Grenzen fest.

 

Psychische Ursachen von Vaginismus

 

Neben körperlichen Faktoren spielen emotionale und psychische Aspekte oft eine zentrale Rolle:

 

Angst vor Schmerzen oder Kontrollverlust


Negative Glaubenssätze über Sexualität (z.B. «Sex ist ekelig», «Männer wollen nur das Eine»)


Sexuelle Traumata oder Missbrauchserfahrungen


Geringes Selbstwertgefühl oder Unsicherheit


Beziehungskonflikte oder mangelnde Kommunikation mit dem Partner


 

Es mag auf den ersten Blick unbegreiflich erscheinen, dass psychische Konflikte einen derartigen Einfluss auf den Körper ausüben sollen. Tatsache ist, das unser Gehirn und die Muskulatur seit Urzeiten eng zusammenarbeiten, um unser Überleben zu sichern (ja, genau, der Säbelzahntiger). So können Ängste oder negative Erwartungen auch heute noch dazu führen, dass sich der Körper unbewusst gegen etwas «Bedrohliches» wehrt, selbst wenn es das gar nicht ist.

 

Moderne Behandlungsmethoden – was hilft wirklich?

 

Die Behandlung von Vaginismus kann auf mehreren Ebenen ansetzen:

 

Beckenbodentraining und Physiotherapie zur Lockerung der Muskulatur


Vaginaltrainer (Dilatoren), um schrittweise an Berührung und Eindringen zu gewöhnen


Psychotherapie, um Ängste und negative Denkmuster zu hinterfragen


Achtsamkeit und Entspannungstechniken, um Stress und Verspannungen zu lösen


Paartherapie, wenn Beziehungsdynamiken eine Rolle spielen


Sexuelle Aufklärung und Körperwahrnehmungsübungen, um sich mit dem eigenen Körper vertraut zu machen


 

Eine Kombination dieser Methoden führt oft zu den besten Ergebnissen. Welche das sind und welche professionellen Unterstützer*innen dabei am besten zu dir passen, findest du mit etwas Geduld und liebevoller Selbstwahrnehmung selbst heraus,

Weiterführende Informationen zum Thema Vaginismus

 

Zum Schluss empfehle ich gern noch zwei deutschsprachige Bücher und eine Masterarbeit zum Thema Vaginismus, die sowohl ich, als auch einige betroffenen Klientinnen besonders hilfreich fanden:

«Das Vaginismus Buch: Schmerzfrei Liebe machen»

In diesem Buch bietet Dr. med. Julia Reeve, Gynäkologin und Sexualwissenschaftlerin, ein umfassendes Therapieprogramm zur Überwindung von Vaginismus an. Sie kombiniert medizinisches Fachwissen mit psychotherapeutischen Ansätzen und legt dabei besonderen Wert auf praktische Übungen und schrittweise Anleitungen. Der Fokus liegt auf der Integration von körperlichen und psychischen Behandlungsmethoden, um Betroffenen einen ganzheitlichen Weg zur Heilung zu ermöglichen.

«So therapieren Sie Vaginismus»

Die Autorin Isabelle Belius, früher selbst von Vaginismus betroffen, teilt in diesem Ratgeber ihre persönlichen Erfahrungen und gibt praxisnahe Tipps zur Selbsthilfe. Das Buch richtet sich direkt an Betroffene und bietet leicht verständliche Informationen über die Anatomie, mögliche Ursachen und verschiedene Therapiemöglichkeiten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf mentalem Training und Entspannungstechniken, um die psychischen Aspekte von Vaginismus zu adressieren.

 

«Vaginismus und Behandlungsmethoden»

Sarah Graf legte 2022 mit ihrer Masterarbeit an der Hochschule Merseburg eine, wie ich finde, bemerkenswerte Studie zum Thema vor, in der sie untersucht hat, welche Wirkfaktoren zur Genesung von Vaginismus beitragen und wie sich die sexuelle Zufriedenheit von betroffenen Frauen vor und nach einer Behandlung verändert. Die Arbeit liefert fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, die auch für betroffene Leser*innen ohne akademischen Hintergrund praxisnahe Einblicke und Handlungsempfehlungen bieten. An manchen Stellen ist der Fachjargon vielleicht ein wenig herausfordernd, aber die kenntnisreiche Auseinandersetzung mit dem Thema lohnt die Lektüre allemal.

 

Weg von der Scham, hin zur Selbstakzeptanz

 

Egal, von welcher Seite du dich deinem Vaginismus nähern willst - TU ES! Jetzt. Denn Scham und Vermeidung machen nichts besser. Im Gegenteil. Dabei hilft dir vielleicht das folgende Mindset:

 

Ich bin nicht allein. Vaginismus betrifft viele Frauen und ist gut behandelbar.


Mein Körper will mich beschützen. Ich kann lernen, ihm zuhören und zu vertrauen.


Heilung ist ein natürlicher Prozess, und ich darf mir Zeit dafür nehmen.


Ich darf Hilfe annehmen, ohne mich zu schämen.


 

In diesem Sinne wünsche ich dir viel Erfolg und vor allem Selbstvertrauen, damit auch du schon bald eine erfüllte Sexualität leben kannst.


Von Herzen,


Wie wollen wir lieben?


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