WAS IST SYSTEMISCH ?
ALLGEMEIN
Der systemische Ansatz hat sich in den 1950er Jahren zunächst in den U.S.A. aus der therapeutischen Arbeit mit Familien entwickelt, in denen ein Mitglied schizophren war. Heute stellt er neben der Psychoanalyse, der Verhaltenstherapie und den humanistischen Therapien eine weitere bedeutsame und vielseitig einsetzbare Behandlungsform bei psychischen Erkrankungen und Störungen aller Art dar.
Kerngedanke der systemischen Therapie ist die Annahme, dass der Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung von Problemen weniger in der behandelten Person allein zu finden ist, als im Zusammenhang, in dem das Problem steht.
Dieser Zusammenhang bildet das jeweilige „System“. Es umfasst alle Formen zwischenmenschlicher Beziehungen, wie Familien, Freundschaften, Liebesbeziehungen, aber auch Arbeitsgemeinschaften, Schulklassen, Religionsgruppen u.s.w. In einem weiteren Sinne stellt auch unser Körper ein solches System dar, und ebenso abstrakte Gebilde wie Firmenhierarchien oder politische Parteien.
Kurz gesagt: Systemische Therapeuten beschäftigen sich also weniger mit der Behandlung und Beseitigung von Symptomen, als mit Beziehungsmustern, Kommunikationsprozessen und Überzeugungen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Symptomen führen.
Das Ziel besteht darin, Menschen in ihren individuellen Entwicklungsprozessen dabei zu unterstützen, behindernde Beziehungsstrukturen oder einengende Überzeugungen zugunsten angemessener, lebendiger und multiperspektivischer Kommunikationsmuster aufzugeben.
DIE 6 SÄULEN SYSTEMISCHEN DENKENS
I. Wirklichkeitskonstruktion
Der sogenannte „Konstruktivismus“, der die systemische Sichtweise prägt, geht davon aus, dass jede Wahrnehmung stets geschaffen und interpretiert wird durch den wahrnehmenden Beobachter. Die Wirklichkeit ist demnach immer subjektiv und damit auch immer veränderlich. Realität wird durch die Kommunikation und die Beziehungen von Menschen zueinander „konstruiert“und individuell wahrgenommen.
II. Kontextabhängigkeit
Entsprechend kann Wirklichkeit auch immer nur so wahr sein, wie der Kontext, in dem sie steht. Das Verhalten wird folglich vom subjektiven Kontext des Menschen motiviert und geprägt und ist ebenfalls veränderlich.
III. Hypothesenbildung
Die systemische Therapie verzichtet in der Regel auf allgemeingültige Diagnosestellungen. Stattdessen werden aus den Aussagen der Klienten Annahmen, sogenannte „Hypothesen“ abgeleitet, die in Frageform zur Überprüfung an die Klienten zurück gegeben werden. Diesem Vorgehen liegt die Überzeugung zugrunde, dass jeder Mensch selbst der Experte für seine Probleme ist und entscheiden kann, was für ihn stimmig ist und was nicht.
IV. Neutralität und Allparteilichkeit
Grundsätzlich sollten sich Therapeuten nicht persönlich mit einer der anwesenden Parteien solidarisieren, auch nicht mit abwesenden. Ihre Aufgabe ist es, dem Geschehen als neutrale Beobachter zu folgen und es zu moderieren. Das gilt auch dann, wenn beteiligte Personen gegen allgemein vorherrschende moralische oder ethische Grundsätze verstoßen haben.
Für systemische Therapeuten gilt darüber hinaus das Prinzip der Allparteilichkeit. Das heißt, sie solidarisieren sich mit ALLEN Parteien, um sich in jeden Betroffenen hineinversetzen zu können, die Verdienste aller Seiten anzuerkennen und so für Klienten transparent zu machen. Es bedarf allerdings der klaren Kommunikation einer solchen Intervention, damit kein Zweifel an der professionellen therapeutischen Neutralität entsteht.
Neutralität -> weder-noch
Allparteilichkeit -> sowohl-als-auch
V. Zirkularität
Systemisches Denken geht davon aus, dass nicht ein Prinzip von Ursache und Wirkung (wenn-dann) die Beziehungen von Menschen bestimmt, sondern zirkuläre, d.h. durch Rückkopplung bedingte, wechselseitige Prozesse. Das Tun des Einen bewirkt das Tun des Anderen. Jede kommunikative Äußerung birgt eine potenzielle Anregung oder auch Verstörung des Systems in sich.
Entsprechend beschäftigt sich die systemische Therapie gezielt mit der Deutung von Beziehungswirklichkeiten in sich selbst organisierenden Systemen. Regelmäßigkeiten oder versteckte Muster können so erkannt und verändert werden.
VI. Ressourcenorientierung
Die systemische Therapie legt wesentlichen Wert auf die Entdeckung und Förderung von Ressourcen, die im System enthalten sind, aber (noch) nicht genutzt werden. Grundsätzlich gilt:
Jeder Mensch trägt die Lösung seines Problems bereits in sich – vergleichbar der Skulptur, die im unbehauenen Stein auch bereits enthalten ist.
DAS SYSTEMISCHE HANDWERKSZEUG
Die Methoden, die in der systemischen Therapie zum Einsatz kommen, sind vielfältig und nicht alle entstammen originär dem systemischen Ansatz. Eindeutig „systemisch“ sind indes bestimmte Frage- und Gesprächstechniken wie z.B. das sogenannte „zirkuläre Fragen“. Auch einige aktive und kreative Methoden wie das Aufstellen von Figuren auf einem Brett, um z.B. Familienstrukturen abzubilden, gehören dazu.
Systemische Frage- und Gesprächstechniken
Wie bei allen gesprächsorientierten Therapien verfolgen auch die systemischen Fragetechniken primär das Ziel, Informationen über eine problematische Situation zu gewinnen. Gleichzeitig dienen sie in manchen Fällen bereits als therapeutische Intervention. Sie können dabei helfen zu verdeutlichen, dass die einzelnen Mitglieder eines Systems bestimmte Situationen unterschiedlich wahrnehmen. Indem multiple Perspektiven herausgearbeitet und allen Beteiligten zugänglich gemacht werden, erhöht sich sowohl die Anzahl der Lösungsmöglichkeiten für das Problem, als auch die Anzahl der Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten.
Darüber hinaus gehören auch der kreative Umgang mit Geschichten, Symbolen und Metaphern zum systemischen Handwerkszeug, sowie – last, but ganz sicher not least – Humor.
In konfliktbeladenen Situationen kann es manchmal nämlich durchaus entlastend sein, eine gewisse Distanz dazu einzunehmen und einfach mal herzhaft zu lachen.
Kreative Techniken
Neben dem therapeutischen Gespräch gehören aktive Interventionen maßgeblich zum Handwerkszeug der Systemischen Therapie. Sie dienen im allgemeinen dazu, einen diffus wahrgenommenen Sachverhalt oder ein Gefühl nach „außen“ zu transferieren, um sie so klarer abzugrenzen, besser sichtbar und begreifbar zu machen.
Diesen Vorgang nennt man „Externalisierung“.
Um Externalisierung zu ermöglichen, nutzen systemische Therapeuten u.a. folgende Techniken:
Familienaufstellungen
Genogrammarbeit
Teilearbeit
Reframing
Paradoxe Interventionen
Hypnosystemische Interventionen
(Weiterreichende Erläuterungen und Informationen zu den einzelnen Methoden und Techniken sind abrufbar, sobald der jeweilige Begriff angeklickt wird.)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der systemische Ansatz einen der vielseitigsten „Handwerkskoffer“ moderner Therapieverfahren anbietet. Er ist darüber hinaus als sogenannte „Kurzzeittherapie“ besonders effizient und alltagstauglich. Deshalb haben systemische Methoden inzwischen auch allerorten ihren festen Platz in der weiten Palette psychotherapeutischer Angebote eingenommen.
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