DAS GEHEIMNIS SEXUELLER ERFÜLLUNG

 

Dafür, dass der Sex schon so alt ist wie die Schöpfung selbst, macht er uns immer noch reichlich Probleme, findet ihr nicht? Was macht es eigentlich so schwierig, zu einer erfüllten Sexualität zu finden? Die Berliner Psychologin Alexandra Schwarz-Schilling ist der Frage nachgegangen und dabei auf Jahrtausende alte Antworten gestoßen. 

 

 

Als Paar- und Sexualtherapeutin habe ich beinahe täglich mit Menschen zu tun, die an ihrer Sexualität verzweifeln. Dabei haben fast alle durchaus Erfahrung und Fertigkeiten im Umgang damit. Sie fühlen Bereitschaft dazu, nicht selten sogar Lust darauf. Sie lieben einen anderen Menschen und wollen ihre Liebe auch körperlich zum Ausdruck bringen. Wollen mit ihm oder ihr zu einer gefühlten Einheit verschmelzen, Erfüllung dabei finden und sei es auch nur für einen Moment. Und dann…

 

… ist das Erlebnis trotz allem nur so 3-4. Oder es war früher mal toll, fühlt sich jetzt aber nur noch an wie eine Wiederholung im ZDF. Oder es klappt gar nicht mehr. Oder es klappt unausgesetzt und mit ständig wechselnden Partnern, hinterlässt dabei aber kein Gefühl der Fülle sondern eher der Leere. Die Liste der enttäuschten sexuellen Erwartungen ist lang. Warum nur?

 

Die Berliner Psychologin Alexandra Schwarz- Schilling gibt auf diese Frage eine einfache Antwort. Ihre Kernthese lautet:

 

Die Ursache sexueller Unzufriedenheit liegt in unserer 5ooo Jahre alten Geschichte begründet, in der die  Frau sexuell stigmatisiert und der Mann emotional immunisiert wurde.

 

Frau Schwarz-Schilling hat hierzu einen sehr interessanten und überdies amüsanten Vortrag verfasst, den ich euch im Folgenden auszugsweise vorstellen möchte. Der Vortrag trägt den Titel: »DIE POLARITÄT DER GESCHLECHTER – BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ALTEN WUNDEN UND NEUEN PERSPEKTIVEN« und ist insgesamt 82 Minuten lang. Er  reicht in seinen historischen und ethnologischen Bezügen weit über die von mir zitierten Passagen hinaus. Wessen Interesse am Thema also ausdauernd genug ist, kann sich den gesamten Vortag auf YouTube ansehen. Ich hänge den Link dazu am Ende des Artikels an.

 

Alexandra Schwarz-Schilling bezieht sich in ihrer Kernthese auf ein Modell, das die Polarität der Geschlechter veranschaulichen soll. In dieses Modell ist das sogenannte »Magnetstabmodell« der amerikanischen Sexualtherapeutin und Autorin Diana Richardson eingeflossen, ebenso wie das Wissen der nordamerikanischen Ureinwohner um die unterschiedliche Energieaufnahme von Mann und Frau. Das Ganze hat sie in den Zusammenhang von Yin und Yang gestellt. Der jeweilige Plus-Pol verkörpert das männliche Prinzip, das wir Yang-Prinzip nennen, der jeweilige Minus-Pol verkörpert das weibliche Prinzip, das wir als Yin-Prinzip bezeichnen:

 


Die Polarität der Geschlechter – Vortrag von Alexandra Schwarz-Schilling

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Indigene Völker haben oft uraltes Wissen bewahrt. Demnach beziehen Frauen einen Großteil ihrer Energie aus der Erde, denn von da kommt die Yin-Energie. Sie strömt die Beine hinauf, spiralt und potenziert sich das erste Mal in den Eierstöcken, wird dann nach oben in die Brüste gebracht, dort spiralt und potenziert sie sich ein weiteres Mal und wird dann an die Welt zurückgegeben, beziehungsweise in die Welt gebracht. Dies kann in materieller Form durch die Abgabe von Milch über die Brust geschehen, aber auch über ein Liebesgefühl. Es kann über die Augen geschehen, über die Haut, über Worte oder einfach energetisch. Entscheidend ist, dass die Energien ins Fließen kommen. Frauen sind erfüllt und fühlen sich lebendig, wenn ihre Liebe fließen kann.

 

Das Geheimnis sexueller Anziehung

Der Energiekreislauf

 

Männer beziehen den Großteil ihrer Yang-Energie von oben aus dem Himmel (deswegen sind alle heute bekannten männlich dominierten Religionen ebenso wie die meisten gängigen spirituellen Konzepte nach oben ausgerichtet). Sie läuft von oben nach unten gerade durch, spiralt und potenziert sich zum ersten Mal in den Hoden und wird dann häufig über den Penis wieder an die Welt abgegeben, materialisiert in Form von Sperma. Männer wollen ihre Energie, ihre Bewegung, ihre Kraft und ihre Ausdauer spüren und geben. Mit ihrer wachen Präsenz bringen sie die Energien der Frau ins Fließen. Männer wollen ihre Stärke und ihre Bewegungsenergie verschenken.
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 Rückverbindung

Ursprünglich sind Frauen natürlicherweise über ihren Zyklus mit allen Rhythmen der Erde und des Mondes verbunden. Männer müssen diese Verbundenheit erst herstellen, sie ist ihnen nicht natürlicherweise gegeben. Eine Möglichkeit für Männer, diese Verbundenheit herzustellen, ist die sexuelle Vereinigung mit einer Frau. Für den Mann ist es möglich, darüber nicht nur den eigenen Anteil am Schöpfungsakt zu spüren, sondern auch Verbundenheit mit der gesamten Schöpfung zu erfahren. Auch deswegen sucht der Mann die Frau. Durch die Geschichte aller Jahrtausende und der Menschwerdung hindurch sucht der Mann die Frau. Frauen tragen in ihrem Schoß das Geschenk der Rückverbindung mit der gesamten Schöpfung!
(…)

 

Der Energiekreislauf

Wenn der Energiekreislauf zwischen Mann und Frau wirklich ins Fließen kommt, dann geht das mit einem ungemeinen Zugewinn an Lebensenergie einher. Dabei werden beide mit den Energien des jeweils anderen aufgeladen. Dadurch werden beide Prinzipien in beiden Partnern harmonisch ausgeglichen. Die Frau nimmt die Energie des Mannes auf, indem sie sich öffnet. Das bringt ihre eigenen Energien zum Fließen. Bei diesem Öffnen geht es nicht darum »die Beine breit« zu machen. Es geht um ein inneres Öffnen, um die Bereitschaft, den Mann ganz und gar in sich aufzunehmen, die Bereitschaft mit seiner Energie zu verschmelzen und sie dann zu transformieren. Dies kann die Frau nur selbstbestimmt und freiwillig tun. Es ist nicht erzwingbar. Sie kann es nur in einem entspannten Zustand. Sie muss dafür bereit sein, den Mann, so wie er ist, vollständig an- und aufzunehmen. Dazu ist sie in der Regel nur bereit, wenn sie liebt und spürt, dass diese Liebe bei dem Mann, mit dem sie zusammen ist, Resonanz erzeugt, dass er ihre Liebe annehmen kann.
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Von Männern, die ihr Herz nicht öffnen

Männer sind im Herzen negativ gepolt, was bedeutet, dass das Herz beim Mann der aufnehmende und damit auch der verletzte Yin-Pol ist. Wir sagen, das männliche Herz ist verletzt aufgrund unserer Geschichte. Ich werde im Folgenden noch näher darauf eingehen. Zunächst aber erst einmal die Konsequenzen für den Energiekreislauf. Aufgrund seiner Verletzung ist das männliche Herz in der Regel verschlossen, ja regelrecht verpanzert und kann nur wenig Energie aufnehmen. Wenn es keine Energie aufnimmt, wird es nicht erwärmt. Wenn es nicht erwärmt wird, fühlt es nicht viel. Wenn er nicht viel fühlt, ist es schwierig für den Mann, sich der Frau hinzugeben, Nähe zuzulassen. Dann liebt er nicht die Frau und bringt ihre Energie ins Fließen, sondern befriedigt sich selbst und benutzt die Frau, um die Erregung in seinem aktiven, erhitzten Yang-Pol abzubauen. Die Frau spürt das und fühlt sich folglich nicht wirklich gemeint. Er ist nicht wach und präsent, wirklich bei ihr, nicht im Kontakt. Er ist nicht bereit, ihre Gefühle aufzunehmen. Das verletzt sie. Oft ist diese Verletzung unbewusst und die Frau weiß nicht wirklich was fehlt oder wieso sie sich nicht erfüllt fühlt. Sie merkt es an einem Energieverlust – oft erst hinterher.
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Männer sind dann oft bemüht beziehungsweise fühlen sich regelrecht verpflichtet, es der Frau zu »besorgen«, da sie unwissentlich davon ausgehen, Frauen wollten in ihrem Schoß Entladung, ähnlich wie sie selbst. Sie wissen nicht, dass eine erfüllte Sexualität für Frauen bedeutet, dass auch ihr aktiver Pol in der oberen Körperhälfte Gefühle verströmen kann und dass der Mann sein Herz öffnet und diese Gefühle aufnimmt. So weit kommt es aber gar nicht. Deshalb ist es für Frauen zwar vorübergehend befriedigend, wenn er es ihr besorgt, es ist aber nicht dauerhaft erfüllend.

 

Von Frauen, die ihren Schoß nicht öffnen

Frauen sind in ihrem Schoß negativ gepolt, was bedeutet, dass der Schoß bei der Frau der aufnehmende und damit auch der verletzte Yin-Pol ist. Wir sagen, der weibliche Schoß ist verletzt, deswegen ist er oft verschlossen und kann nur sehr wenig Energie aufnehmen und nach oben bringen. Er ist oft regelrecht verpanzert. Wenn der Schoß keine Energie aufnimmt, sich nicht öffnet, wird er nicht erwärmt und erhitzt. Wird er nicht erwärmt und erhitzt, kann er die Energie nicht in Liebe transformieren. Dann fühlt sie auch nicht viel in ihrem Schoß. Da sie aber denkt, sie müsste etwas fühlen, täuscht sie die Erregung oft vor. Genau wie der Mann Herzensenergie vortäuscht, ohne Entsprechendes wirklich zu fühlen. Er täuscht der Frau zuliebe Gefühle vor. Sie täuscht dem Mann zuliebe Erregung vor, in der Hoffnung, durch den Sex Nähe zu bekommen oder um möglichst schnell »ihre Ruhe zu haben«. Der Mann spürt, dass er die Energien der Frau nicht wirklich ins Fließen gebracht hat. Er spürt, dass sie nicht wirklich offen für ihn ist, ihn will und bereit ist, ihn ganz und gar in sich aufzunehmen, mit ihm zu verschmelzen und seine Energien zu transformieren und zu verströmen, ihn rückzuverbinden. Das verletzt ihn.

 

Der aktive Yang-Pol im Herzbereich der Frau sucht sich dann bei anderer Gelegenheit Entladung, häufig durch Drama und Leiden. Der Mann erlebt das als Angriff. Sie macht ihm beispielsweise Vorwürfe, die er nicht versteht. Er versteht nicht (und sie selbst oft auch nicht), dass ihr aktiver Pol nach Entladung sucht. Eigentlich möchte sie Gefühle wie Nähe, Lebensfreude, Lebendigkeit und Liebe fließen lassen, da diese Erfahrung aber oft frustriert wird, weil der Mann diese Gefühle der Frau nicht aufnimmt, entladen sich die Energien durch Ärger oder Schmerz.

 

So wie der Mann die Vorwürfe der Frau nicht versteht und nicht erkennt, dass sie darunter leidet, ihre Liebesgefühle nicht fließen lassen zu können, versteht die Frau oft nicht, wieso der Mann »immer nur Sex will«. Der Mann will über Sex seine Yang-Energie geben, sich rückverbinden, Nähe herstellen. Er will seine Energien verschenken. Wenn sein Herzpol/Yin dabei nicht geöffnet ist, kann weder die Frau noch er selber dieses Bedürfnis wahrnehmen, es kommt ihr grob und oberflächlich vor und überschreitet ihre Grenzen. Ist der Schoß der Frau nicht geöffnet, wird der Mann nicht wirklich aufgenommen, was wiederum beide selten überhaupt wahrnehmen.
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Frust auf allen Seiten

Dieser Frust führt dazu, dass die Sexualität sich nicht entfaltet und die Energie zwischen Mann und Frau nicht dauerhaft fließt und sich auch nicht potenziert. In der Beziehung verlieren beide dadurch sogar häufig Energie. Männer ziehen sich dann emotional zurück, nachdem die Vorwürfe der Frauen sie oft getroffen haben. Frauen ziehen sich sexuell zurück, nachdem ihre Bedürfnisse nach Liebe und Zärtlichkeit nicht beantwortet wurden.
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Mann-Sein und Frau-sein verstehen

Wenn wir die Polarität der Geschlechter verstehen und anzuwenden wissen, haben wir einen entscheidenden Schlüssel für unsere Beziehungen. Das Wissen um unsere unterschiedliche Polarität dient vor allem dazu, Mann-Sein und Frau-Sein zu verstehen und die Unterschiede zu respektieren und zu achten, aber auch, sie zur Entfaltung zu bringen. Die Polarität der Geschlechter zu verstehen beginnt damit, meine eigene Polung als Mann oder Frau wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen und sie auszudrücken. Das bedeutet, dass ich um die Bedürfnisse meiner aktiven Pole weiß und entsprechend für sie sorge! Es bedeutet, dass ich um die Bedeutung meiner passiven Pole weiß und lerne, sie zu öffnen. Diese Öffnung beinhaltet das Risiko, verletzt zu werden.

 

Keine Erfüllung ohne Risiko

Aufgrund der enormen kollektiven Verletzungen, die dem männlichen Herzen und dem weiblichen Schoß in unserer Geschichte zugefügt wurden, ist das Öffnen an sich oft schon mit Schmerzen verbunden. Das ahnen wir untergründig und vermeiden es deshalb hartnäckig. Nichts tut erst einmal mehr weh, als das Rühren an alte Wunden. Genau das passiert aber bei der Erfüllung unserer Sehnsucht. Sie berührt uns in unserem Innersten und löst heftige Erschütterungen aus, die von der Angst begleitet werden, das endlich wieder Gefundene erneut verlieren zu können. Da müssen wir durch, denn Erfüllung ohne Risiko gibt es nicht! Häufiger gehen wir leider in die Vermeidung. Sie scheint zunächst sicherer.
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Um die Polarität der Geschlechter zu wissen bedeutet auch, die Empfindsamkeiten des jeweils anderen mehr zu respektieren. Frauen haben in der Regel keine Ahnung, wie empfindsam und verletzlich (und verletzt!) das männliche Herz ist. Es ist für sie schlicht nicht nachvollziehbar. Ebenso verhält es sich mit der Verletzlichkeit und Verletzung von Frauen in ihrer Sexualität. Da fehlt Männern oft das Verständnis, es kommt ihnen oft übertrieben vor.

 

Für Frauen liegt in der Entfaltung ihrer Sexualität ein entscheidender Schlüssel zur Selbstermächtigung, zum Vollständig-Sein. Für Männer liegt dieser Schlüssel in der Entfaltung ihrer Herzkraft.

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Resumé

Mir haben die Einsichten von Alexandra Schwarz-Schilling ein erweitertes Verständnis für das Männliche und Weibliche beschert, durch das ich mich heute in meinem beruflichen wie auch privaten Leben vollständiger und im Umgang kompetenter fühle.

 

Der Respekt vor der Empfindsamkeit des anderen, auch wen diese nicht der eigenen entspricht, gehört für mich zu den wesentlichen Voraussetzungen, damit Liebe und Sexualität zwischen Partnern gelingen können. Das schließt für mich homosexuelle Partnerschaften übrigens ausdrücklich mit ein. Bei diesen ist die körperliche Verschiedenheit zwar nicht gegeben, die energetischen Unterschiede sind nach meiner Erfahrung aber durchaus vergleichbar.

 

Willst du mehr darüber erfahren?

Wer mehr über die Polarität der Geschlechter und vor allem die historischen und ethnologischen Bezüge erfahren möchte, kann sich den ganzen Vortag von Alexandra Schwarz-Schilling auf Youtube ansehen:

 

Vortrag von Alexandra Schwarz-Schilling

 

 

Darüber hinaus möchte ich die sehr lesenswerten Bücher von Diana und Michael Richardson empfehlen und unter diesen besonders:

 

Zeit für Weiblichkeit – Der tantrische Orgasmus der Frau

Innenwelt Verlag / 14. Auflage 2014

 

Zeit für Männlichkeit – Mehr Kompetenz in Sachen Sex und Liebe zwischen Mann und Frau

Innenwelt Verlag / 7. Auflage 2014

 

 

Von Herzen,

Christina

 

 

Bildquelle: Fotolia ⎪ © Anna-Mari West