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Gemeinsam durch die Krise

Gemeinsam durch die krise


Wenn Depression auf Partnerschaft trifft

Das schwarz-weiße Bild zeigt ein eng umschlungenes Paar, das auf einer gepflasterten Straße liegt und dramatisch miteinander ringt. Wahrscheinlich handelt es sich bei den beiden um Straßenkünstler.

Mit einem Schlag war es im Seminarraum so still geworden, dass ich meinen eigenen Herzschlag hören konnte. Die Zuschauer der Aufstellung hielten den Atem an und starrten entsetzt auf die Stellvertreterin, die gerade eben etwas Ungeheuerliches gesagt hatte: „Wenn du sterben willst, werde ich dich nicht mehr aufhalten“. Mir blieb die Spucke weg. Ich hatte keinen blassen Dunst, was ich jetzt tun sollte. Beklommen äugte ich zu meiner Klientin hinüber, die wie eine steinerne Sphinx neben mir saß und die Hände um ihre Oberschenkel gekrallt hatte.

 

Nicole war mit dem Anliegen zu mir ins Aufstellungsseminar gekommen, die festgefahrene Situation zwischen ihr und ihrem Mann zu klären, der nach einem Burnout vor einigen Jahren zwischen mittelgradigen bis schweren depressiven Episoden oszillierte. Zu Beginn der Erkrankung war Nicole der Herausforderung noch tapfer und entschlossen entgegen getreten. Sie hatte versucht, ihren Mann umfassend zu entlasten, alle Stressoren von ihm fern zu halten, mit Verständnis, Liebe und Optimismus auf seine Passivität, seine Reizbarkeit und seine Zukunftsängste zu reagieren. Sie hatte die beiden Kinder, den Haushalt und das immer weniger werdende Geld allein jongliert, ihren Freundeskreis stillgelegt, eigene Wünsche ausgeblendet, Ängste für sich behalten, Erschöpfung ignoriert und sich dabei einen fetten Bandscheibenvorfall eingehandelt... den sie ebenfalls ignorierte. Die Verschattung ihres Mannes schien sich immer mal wieder für einige Monate zu lichten, „Silberstreifchen am Horizont“ wie Nicole das nannte, nur um dann aus heiterem Himmel und mit zunehmender Schwere zurück zu kehren. Nach einem Suizidversuch ihres Mannes war Nicole jetzt an einem Punkt angelangt, wo sich ihre Erschöpfung und Ratlosigkeit nicht mehr leugnen ließen und sie sich Hilfe von einer Familienaufstellung erhoffte.

 

„Wenn du sterben willst, werde ich dich nicht mehr aufhalten“. Der monströse Satz, den Nicoles Stellvertreterin gerade zum Stellvertreter ihres Mannes gesagt hatte, stand noch immer wie ein Elefant im Raum. Gerade wollte ich lösend in die Aufstellung eingreifen, als ich sah, dass sich Nicoles Hände entspannten. Das Blut kehrte in die weißen Köchel zurück, wie auch in ihr wächsernes Gesicht. Sie atmete hörbar aus. Dann sagte sie leise: „Das stimmt.“

 

Dem Monstrum die Stirn bieten

Den Untergang eines geliebten Menschen in Kauf zu nehmen, weil man sich sonst nicht mehr zu helfen weiß, mag für manche einem Tabubruch gleichkommen. Für viele Partner von depressiven Menschen ist das aber eine Entscheidung, der sie früher oder später nicht mehr ausweichen können. Die gute Nachricht ist: So weit muss es gar nicht kommen! Werden ein paar Grundregeln im Umgang mit dem depressiven Partner beherzigt, haben beide gute Chancen, die Beziehung durch die Krise hindurch aufrecht zu erhalten und am Ende sogar stärker daraus hervorzugehen, als sie hineingegangen sind. Nicole und ihr Mann sind inzwischen auf dem besten Weg. Gemeinsam bieten sie dem Monstrum Depression die Stirn. Wollen Sie wissen wie?

 

Informieren Sie sich!

Als klar war, dass ihr Mann aufgrund seiner Depression nicht mehr seinen alltäglichen Aufgaben nachgehen konnte, hatte Nicole instinktiv zunächst das Richtige getan – nämlich nicht, wie viele, den Kopf in den Sand gesteckt und so getan, als wären die »Launen« ihres Mannes nur eine ärgerliche Unpässlichkeit. Stattdessen hat sie sich genau darüber informiert, was eine Depression ist, was sie verursacht und welche Verhaltensweisen sie bei den Betroffenen auslösen kann. „Ich wusste ziemlich genau, was da auf mich zu rollte und habe mich entsprechend gewappnet“, sagt Nicole. „ Alles nur eine Frage der richtigen Organisation, dachte ich mir. Außerdem hatte man mir gesagt, ich sollte mich nicht in die Therapie einmischen, keine Ratschläge geben oder leere Sprüche klopfen wie: ‚Das wird schon wieder’. – Daran habe ich mich gehalten.“

 

Autonomie wahren

Binnen weniger Wochen hatte Nicole ihr Berufs- wie Familienleben soweit umgekrempelt, dass ihr Mann darin praktisch nicht mehr vorkommen musste. Außerdem regelte sie für ihn den gesamten Papierkram mit der Krankenkasse, überwachte seine Medikamenteneinnahme, fuhr ihn zur Therapie, schirmte ihn vor besorgten Freunden und Kollegen ab und vieles mehr. Zum Dank dafür wurde ihr Mann Nicole gegenüber immer öfter ausfällig und beschuldigte sie schließlich sogar, mit ihrem „Kontrollwahn“ eine Mitschuld an seiner Depression zu tragen. „Da bin ich zum ersten Mal richtig ausgerastet“, erinnert sich Nicole später.

 

Tatsächlich war sie der Versuchung erlegen, die viele in ihrer Situation heimsucht, nämlich dem Partner aus Liebe alles abnehmen zu wollen. Sie übersehen, dass der depressive Partner mit seiner Handlungshoheit aber auch immer mehr seiner ohnehin schon eingeschränkten Handlungsfähigkeit einbüßt. Zusätzlich nimmt sein Selbstwert Schaden. „Mir war nicht bewusst, dass ich ihm mit meiner Fürsorge eher schadete als half und dass er deshalb immer mürrischer und gereizter wurde“, resümiert Nicole diese Erfahrung. „In einem Achtsamkeits-Kurs habe ich schließlich gelernt, ein besseres Gespür für die Grenze, zwischen meinem Bedürfnis zu helfen und seinem Wunsch nach Selbstbestimmung zu entwickeln“.

Überforderung erkennen

Man darf wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Nicole in der Begleitung ihres Mannes durch die wiederkehrenden depressiven Krisen bis hierher Enormes geleistet hatte und zwar sowohl auf der physischen als auch auf der psychischen Ebene.
Dabei war ihr allerdings ein wesentlicher Faktor durch die Maschen geschlüpft, der schlussendlich mit zur Eskalation der Situation beigetragen hat: Sie hatte das Gefühl für ihre eigene Belastungsgrenze verloren.


„Wenn ich mich abends zu ihm in Bett gelegt habe,
total erschossen von einem langen Tag und mich an ihn kuscheln wollte, hat er sich immer öfter von mir weg gedreht. Dann habe ich mich so einsam und ausgebrannt gefühlt, dass ich am liebsten geheult hätte.“  
- Hat sie aber nicht. Stattdessen hat Nicole ihren Frust so lange in sich hinein gefressen, bis sie infolge eines Bandscheibenvorfalls im wahrsten Sinne des Wortes zusammengebrochen ist.


Die Schuldgefühle ihres Mannes, der Nicoles Opferbereitschaft nichts mehr entgehen zu setzen wusste, gipfelten daraufhin in einem Suizidversuch, den er allerdings selbst im letzten Moment vereitelt hat.

 

Den Teufelskreis durchbrechen

„Wenn du sterben willst, werde ich dich nicht mehr aufhalten“ – Nicole hat sich den ungeheuerlichen Satz ihrer Stellvertreterin aus der Aufstellung zu Herzen genommen und angefangen mehr und besser für sich selbst zu sorgen. Sie treibt jetzt regelmäßig Sport, achtet auf gesunde Ernährung und geht mit Begeisterung zur Lomi-Lomi-Massage. Gelegentlich zieht sie sogar wieder mit ihren Freundinnen um die Häuser, die sie sich inzwischen auch nicht mehr scheut um Hilfe zu bitten, wenn es irgendwo brennt. „Ich habe kapiert, dass eine Tapferkeitsmedaille weder mir noch meinem Mann etwas bringt“ sagt Nicole heute.

 

Unterdessen hat ihr Mann seine Autonomie zurück erobert und kümmert sich jetzt selbstständig um seinen Heilungsprozess. Wenn er Hilfe braucht, bittet er darum. Das klappt bisher erstaunlich gut. Neulich, so berichte Nicole, sei er aus seiner „Höhle“ heraus gekommen und habe sich zu ihr aufs Sofa gesetzt. Gemeinsam haben sie sich einen albernen Film angesehen und dabei herzlich gelacht. Aus dem „Silberstreifchen am Horizont“ ist inzwischen ein veritabler Tagesanbruch geworden.

 

Von Herzen, 


Der Artikel ist am in der Ausgabe 6/2016 des Magazins AUSZEIT erschienen.

Bildquelle:  © Christof Berrens - mit freundlicher Genehmigung des Fotografen

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