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Du bist genau wie deine Mutter

genau wie Deine Mutter


WARUM WIR DIE FEHLER UNSERER ELTERN WIEDERHOLEN

Das Bild zeigt eine ältere Frau, die kritisch unter einer strengen Brille hervorlugt, während im Hintergrund ein junges Paar streitet.

In unserer Kindheit hatten meine Schwester und ich einen Hamster namens  »Mucki«. Mucki war eigentlich ein ziemlich cleverer Bursche, dem man kein X für ein U vormachen konnte. Er verstand es, sich bei Bedarf unauffällig zu verdünnisieren und tagelang in Geheimverstecken unterzutauchen, nur um im entscheidenden Moment wieder auf der Matte zu stehen und die alte Meckerziege von nebenan zu Tode zu erschrecken. Mucki war guerilla! Er war unser Held und ein veritables Vorbild.

 

Allein wenn es um sein Futter ging, schienen in Muckis hellem Köpfchen sämtliche Lichter auszugehen. Seiner Natur blind gehorchend, stopfte er sich dann so viel Essbares wie möglich in die Hamsterbacken, um es in die Sicherheit seines Baus zu schleppen. Dabei übersah er völlig, dass das Loch zu seiner Höhle nicht annähernd geeignet war, den Umfang seiner Backen aufzunehmen, geschweige denn durchzulassen. Von solchen Details ließ Mucki sich aber nicht entmutigen. Er drückte seine dicken Backen gegen das Loch, riss sich die Nase blutig, blieb stecken, kämpfte sich wieder frei. In seiner Verzweiflung drehte er zwischendurch ein paar Runden um den Bau, in der anscheinend bußfertigen Hoffnung, danach Zugang zu bekommen. Immer und immer wieder wetzte er im Kreis, immer und immer wieder nahm er Anlauf auf den Eingang, und immer und immer wieder holte er sich eine blutige Nase. Es war einfach herzzerreißend.

 

Nun könnte man sagen: Klar, ist ja auch nur ein Hamster! Was will man da schon erwarten?

 

Die Wirklichkeit, ihr Lieben, sieht so aus, dass Millionen intelligenter, lebenserfahrener, kreativer, innovativer, beruflich und gesellschaftlich erfolgreicher Menschen in ihren Liebesbeziehungen jeden Tag dasselbe tun wie Mucki.

 

Kommt dir das bekannt vor?

Der ewig gleiche Streit mit deiner Partner*in um das ewig gleiche Thema bleibt am ewig gleichen Punkt ungelöst stecken? Du machst die nächste Diät, um attraktiver für ihn/sie zu sein und wirst dabei immer dicker? Du lässt dich schon wieder auf jemanden ein, von dem du weißt, dass er/sie dir nicht guttun wird? Du willst dich schon lange aus einer ungesunden Beziehung lösen, findest aber den »Absprung« nicht? 

 

In unserem Beziehungsalltag gibt es unzählige Beispiele für schädliche Verhaltensmuster, die in uns nach Veränderung schreien. Auf mysteriöse Weise scheinen sie aber unüberwindlich zu sein. Oder reden wir uns das nur ein? Was ist es eigentlich, das uns daran hindert, offensichtlich erfolglose Konzepte aufzugeben?

 

Die Neandertaler*in in uns

Um es gleich vorweg zu nehmen: Schuld an allem sind die Basalganglien! Das ist das Areal in unserem Gehirn, in dem Verhaltensmuster unter »Gewohnheiten« abgespeichert werden. Grundsätzlich ist es ja auch durchaus sinnvoll, wenn wir bei alltäglichen Handlungen nicht mehr bewusst überlegen müssen, was zu machen ist. Wie wir das Besteck zu halten haben oder was wir tun müssen, um das Auto möglichst unfallfrei von A nach B zu bewegen. Die Natur hat uns diese Fähigkeit vor Urzeiten verliehen, um bereits erprobte Strategien in verschiedenen Lebenssituationen erfolgreich anwenden zu können, um auch in Gefahr handlungsfähig zu bleiben, um nicht immer wieder die gleichen Erfahrungen machen zu müssen. Effizienz als Überlebensstrategie. Gute Idee eigentlich.

 

Das Problem mit den Basalganglien ist, dass sie zwischen erwünschten und unerwünschten Gewohnheiten nicht unterscheiden. Unerwünschte Gewohnheiten sind diejenigen, die beschränkendes, einengendes, schädliches, kontaktverhinderndes oder konflikterzeugendes Potenzial haben und uns wie anderen damit auf die Nerven gehen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir mit unserem Verstand kaum auf sie zugreifen können, weil dieser Bereich unseres Gehirns dem bewussten Willen schwer zugänglich ist. Wir können also kaum aktiv eingreifen, wenn eine Gewohnheit erst einmal in Gang gesetzt ist. Unser Gehirn funktioniert dann wie ein Autopilot, der gegen jede Abweichung vom vorgegebenen Kurs immun ist.

 

Du bist genau wie deine Mutter!

Im konkreten Fall könnte das so aussehen: Ein Paar möchte zum Essen ausgehen. Er will zum Inder, sie zum Japaner. Während er ihr sein Ziel mit Argumenten schmackhaft zu machen versucht, reagiert sie wie üblich beleidigt: „Warum fragst du mich überhaupt noch, wenn meine Wünsche dich doch nicht interessieren?" Er verdreht wie üblich genervt  die Augen. „Du bist genau wie deine Mutter!" schnauzt er sie an. Wie üblich befindet sich von diesem Moment an der Haussegen im freien Fall.

 

Tatsächlich haben wir unsere Verhaltensmuster größtenteils »erlernt«, d.h. wir haben sie von Bezugspersonen übernommen. Wenn beispielsweise unsere Mutter in unserer Kindheit bei Streitigkeiten mit unserem Vater schnell beleidigt reagiert hat, dann übernehmen wir dieses Verhalten häufig und zwar selbst dann, wenn auch die Mutter damit schon nicht erfolgreich war.

 

Gewohnheiten geben uns ein Gefühl von Sicherheit


Gewohnheiten geben uns ein Gefühl von Sicherheit und zwar selbst dann, wenn wir negative Erfahrungen damit machen. Daraus entwickelt haben sich zahlreiche Vermeidungsstrategien, mit denen wir in der Regel unbewusst unsere eigentlichen Ziele torpedieren. Hirnforscher wollen dazu herausgefunden haben, dass es uns bei 70%  unserer Entscheidungen leichter fällt, Gründe zu finden, etwas nicht zu tun. Aus Angst davor, Fehlentscheidungen zu treffen und die möglichen Konsequenzen nicht kontrollieren zu können, sitzen viele von uns ihre Probleme lieber aus, als sich aktiv und mutig damit zu konfrontieren. Die Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten ist größer als die Angst vor dem wohl bekannten Unangenehmen, dem Status Quo. Auch dieses Verhalten scheint ein Überbleibsel aus jener Zeit zu sein, als das Verlassen der Höhle mit großen Risiken verbunden war.

 

Angst ist ein kluger Wegweiser, aber ein schlechter Ratgeber

Eine kluge Freundin gab mir einmal folgenden Rat: „Angst ist ein guter Wegweiser,” sagte sie „aber ein schlechter Ratgeber.” Damit würdigte sie die Qualität der Angst, uns den direkten Weg zu unseren SCHATTEN zu weisen - den Anteilen unserer Persönlichkeit also, die wir ablehnen und entsprechend lieber nicht wahrhaben wollen. Gleichzeitig warnte sie mich davor, mich von meiner Angst beherrschen und meine Entscheidungen von ihr diktieren zu lassen.

 

Es gehört zweifellos eine Menge Mut dazu, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Wenn wir es dennoch wagen, begegnen wir uns vielleicht zum ersten Mal ganz unverstellt. Kein heroisches Selbstbild schützt uns dann noch vor der ungeschminkten Wahrheit. Mitunter sehen wir dann, dass wir in bestimmten Situationen immer noch genauso verletzlich sind, wie wir es als Kinder waren und dass wir im Laufe unseres Lebens Marotten entwickelt haben, die uns vor diesen Verletzungen schützen sollen. Vielleicht gelingt ihnen das sogar. Gleichzeitig »schützen« sie uns aber auch vor allem anderen: der Lebensfreude, der Liebe, der Abenteuerlust, unseren Visionen...

 

Worum es geht ist, zu erkennen, dass wir als erwachsene Menschen selbst für unsere Verletzlichkeit verantwortlich sind und nicht mehr unsere Eltern oder der Partner oder wen auch immer wir mit dieser Aufgabe betrauen wollen. Statt dessen werden wir selbst zum »Vater« oder der »Mutter« unserer »inneren Kinder« und sorgen für sie, so wie wir es selbst als Kinder womöglich gebraucht hätten. Das gelingt vielleicht nicht immer und schon gar nicht von heute auf morgen, aber es lohnt das geduldige Dranbleiben, meine ich, denn in dieser »Selbst-Elternschaft« schlummert ein enormes Entwicklungspotenzial. Wir dürfen dann miterleben, wie unsere alten Wunden heilen und die »inneren Kinder« Schritt für Schritt an Selbstbewusstsein gewinnen. Sie bilden eine eigene Persönlichkeit aus, lernen selbst zu entscheiden, was für sie wichtig und richtig ist, werden erwachsen. Alte, übernommene Gewohnheiten treten mehr und mehr in den Hintergrund und unser eigentliches, unverwechselbares ICH ins Rampenlicht. Das ist die gute Nachricht.

 

Menschen haben Macken

 

Die schlechte ist: Frühkindliche Prägungen durch Eltern oder andere Bezugspersonen lassen sich nur selten vollständig rückgängig machen. Wir erinnern uns an die beratungsrenitenten Basalganglien? Damit aber kein Missverständnis entsteht: ich will auch keineswegs behaupten, dass unsere Eltern »alles« falsch gemacht haben. Im Gegenteil bin ich sogar überzeugt davon, dass die meisten Eltern, im jeweiligen Rahmen ihrer Werte und Möglichkeiten, das Beste für ihre Kinder im Sinn haben. Eltern sind aber eben auch nur Menschen, die in ihrer Kindheit selbst Prägungen erfahren haben. Es geschieht deshalb nicht selten, dass schädliche Verhaltensmuster in Familien über mehrere Generationen hinweg weitergegeben werden. Ich selbst entdecke an mir jedenfalls gelegentlich Wesenszüge, mit denen mein Großvater schon alle wahnsinnig gemacht hat.

  

Das Risiko der Authentizität eingehen

 

Wie es aussieht, sind wir unseren Prägungen bis zu einem gewissen Grad also ausgeliefert und zu einem anderen nicht. Anstatt sich jetzt auf die »So bin ich halt«-Position zurückzuziehen oder aber dem Selbstoptimierungswahn zu verfallen, ließe sich aus dieser Tatsache auch noch ein dritter Schluss ziehen:

Ich könnte mich dafür entscheiden, authentisch zu sein.

Das setzt voraus, dass ich mir im Klaren über meine Stärken und Schwächen bin und für die jeweiligen Konsequenzen daraus Verantwortung übernehme. Dass ich Werte für mich definieren kann, die unter Umständen nicht mit denen meiner Eltern oder der Mehrheit übereinstimmen (oder gerade!) und trotzdem für sie einstehe. Dass ich das Risiko auf mich nehme, Kritik zu erfahren, abgelehnt zu werden, vielleicht sogar Verluste zu erleiden. Als authentischer Mensch kann ich das aushalten, bei mir bleiben und gleichzeitig offen für die Belange anderer.

 

In meinen Augen ist das die Qualität, die den entscheidenden Unterschied macht: Wer in seinen Verhaltensmustern/Gewohnheiten/Prägungen gefangen ist, wird von diesen in kritischen Situationen überwältigt und gerät in Stress. Die Folge davon ist, dass er »dicht« macht und den Kontakt zum anderen verliert. Ein authentischer Mensch bleibt in kritischen Situation bei sich und kann gleichzeitig eine anders lautende Position würdigen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der andere sich dann in seinem Selbstwert anerkannt fühlt und selbst bereit ist, das Risiko einzugehen, aus dem Hamsterrad auszusteigen.

 

À propos Hamster

 

Bei Mucki war das übrigens so, dass er nach einer rekordverdächtigen Anzahl von Höhlenumrundungen endlich total erschöpft vor dem Eingang sitzen blieb und vor sich hin starrte . Dann packte er langsam einen Teil seiner Beute aus den Backentaschen aus und und überließ ihn dem Risiko. Mit dem anderen Teil passte er problemlos durch die Öffnung zur Höhle. Nach wenigen Augenblicken  kehrte er »entleert« zurück, um den Rest einzukassieren. Auf mich machte er dabei immer einen besonders zufriedenen Eindruck. Leider hatte er das am nächsten Tag schon wieder vergessen, wenn er den Kampf mit dem Höhleneingang von neuem aufnahm. Am Ende war Mucki eben doch nur ein Hamster.

 

Von Herzen,

Unterschrift von Christina

Du kannst Dir nicht aussuchen, wen Du liebst.

Was Du daraus Machst schon.


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